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.Er sprang vom Stuhl, nahm Daut bei der Hand und zog ihn ins Kinderzimmer.»Schau dir das an!«Mit vor Aufregung rot glühenden Wangen zeigte er auf die zwei Meter mal einen Meter fünfzig große Karte, die seit ein paar Monaten an der Wand hing.Mit Stecknadeln hatte er den Frontverlauf markiert, der seit Kriegsbeginn der wichtigste Lerninhalt des Erdkundeunterrichts war.Im Westen steckten blaue und grüne Nadeln - andere hatte Luises Nähkorb nicht hergegeben - mitten in Frankreich.Die Hauptstädte eroberter Länder waren mit kleinen Fähnchen markiert.Daut sah sofort, dass es neue Nadeln gab.Rote.Im Osten.In Russland.»Schau, Papa! Endlich gibt es Nachrichten aus dem Osten.Unglaublich, wie weit wir schon vorgerückt sind.Blitzkrieg eben.Wie gegen Frankreich.Weihnachten sind unsere Soldaten wieder daheim, sagt Studienrat Röder.«Studienrat Röder war Werners Erdkundelehrer.Parteimitglied wie er selbst, dachte Daut resigniert.Er fuhr Walter übers Haar.»Na, der muss es ja wissen! Aber jetzt ab ins Bett.Jetzt wird geschlafen.«»Und wenn es noch mal Alarm gibt?«»Gibt es nicht, mein Junge.Die Flieger sind längst in England.«»Nicht alle, Papa, ganz sicher nicht alle.Die meisten hat garantiert unsere Flak erledigt.«Walter ließ seine rechte Hand, mit weit gestreckten Fingern ein Flugzeug imitierend, durch die Luft fliegen, während die linke Hand eine Flakkanone darstellte.»Ratttatttatttattta, ratttatttatttattta!«Die rechte Hand zitterte auf und nieder.»Huiiiiiiiiiiiiiiiii!«Walter ging in die Knie und klatschte die Hand auf den Boden.»Volltreffer«, sagte er und schaute begeistert zu seinem Vater auf, der ihn mit zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen ansah.»Jetzt geh schlafen, mein Junge.Morgen ist auch noch ein Tag.«In der Tür des Kinderzimmers stieß Daut fast mit Luise zusammen, die die schlafende Else auf dem Arm trug.Was für eine glückliche Familie könnten wir sein, wenn die Zeiten friedlich wären, dachte Daut.Luise hatte eine Flasche Bier auf den Küchentisch gestellt.Wann war das zuletzt vorgekommen? Normalerweise war sie dagegen, dass überhaupt Bier im Haus war.Er sollte daheim nicht trinken.Allenfalls ein Glas Mosel zum Essen an Festtagen, aber kein Bier und keinen Fusel.Daut öffnete den Bügelverschluss mit einem lauten Plopp und nahm einen kräftigen Schluck.»Zum Wohl!«Luise stand in der Küchentür.Daut konnte nur mit Mühe einen Rülpser vermeiden.Luise trat von hinten an ihn heran, schlang die Arme um ihn und gab ihm einen flüchtigen Kuss in den Nacken.Ihr Atem kitzelte ihn, als sie sagte:»Wir müssen die Kinder hier wegschaffen, Axel.Lass sie uns zu deinem Vater bringen.Da sind sie in Sicherheit.«Daut nickte, obwohl er gleichzeitig zu bedenken gab: »Du weißt, dass es nicht so einfach ist.«Für Privatfahrten bekam man in diesen Tagen kaum Bahnfahrkarten.Luise drehte Daut mit erstaunlich kräftigem Griff um und schaute ihm mit festem Blick ins Gesicht.»Doch, Axel.Es ist so einfach.Du kannst das organisieren.Dazu hast du morgen den ganzen Tag Zeit.«»Und du?«»Ich weiß noch nicht, kann sein, dass ich noch etwas anderes erledigen muss.«Daut traute sich nicht zu fragen, ob das, was sie vorhatte, mit dem unbedruckten Papier im Kleiderschrank zu tun hatte.Er wollte die Harmonie dieses Augenblicks um nichts in der Welt zerstören.Das erste Mal seit Wochen hatte er ein Gefühl der Sicherheit.Gleichzeitig spürte er seine Scham durch seine Liebe zu Luise wachsen.Deshalb nahm er sie in den Arm.»Sag mir, was dich so ängstigt, Luise.Wie soll ich dir sonst helfen?«Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter und streichelte seinen Kopf.»Du weißt es doch, Axel, du fürchtest dich doch selber vor der Zukunft.Du weißt doch auch nicht mehr, wem man noch vertrauen kann.Und dieser Hass.Erinnerst du dich noch an diese Nacht? Wie nennen sie diese jetzt? Kristallnacht?«Luise löste sich aus Dauts Armen und schaute ihn mit feuchten Augen an.Er setzte sich und zog sie auf seinen Schoß.Bald würde ihn die Schulter schmerzen, aber er wollte die Nähe nicht aufgeben.Er war am 9.November 1938 mit Luise im Theater des Westens an der Kantstraße gewesen.Welches Stück damals gespielt wurde, hatte er vergessen.Das war bedeutungslos.Wichtig war nur, was danach geschah.Sie wollten nach Ende der Vorstellung noch auf ein Glas Schokolade und ein Bier ins Café Möhring am Kurfürstendamm.Kaum hatten sie das Theater verlassen, rochen sie es.Feuer! Ein roter Schein hing über der Fasanenstraße.An ihnen vorbei rannten johlend und lachend Männer mit Knüppeln in der Hand.»Juda, verrecke«, rief ein sechzehn Jahre alter Bursche und schlug mit einer Axt das Schaufenster eines Hutmacherateliers entzwei.Als zöge sie der Ort magisch an, gingen Luise und Axel Daut in die Fasanenstraße.Die große Charlottenburger Synagoge brannte, ihre Kuppel stand lichterloh in Flammen.Doch Hilfe war im Anmarsch.Man hörte aus Richtung Kurfürstendamm das Klingeln der Feuerwehrautos.Zwei Löschzüge brausten in die Fasanenstraße, die Feuerwehrleute sprangen herunter und begannen, die Schläuche auszurollen.»Nichts da! Hier wird nicht gelöscht.«Ein Mann in Zivilkleidung, zu der die hohen Schaftstiefel der SA-Uniform in seltsamem Kontrast standen, trat vor den Hauptmann des Feuerwehrzuges.Daut konnte nicht hören, was sie sprachen, aber der Feuerwehrmann schien wütend und wollte den Mann zur Seite stoßen.In diesem Moment trat eine Horde junger Männer vor.Sie bildeten eine Art Kordon.Alle hielten Schlagstöcke, Holzscheite oder Äxte in der Hand.Einige schlugen damit bedrohlich auf ihre Stiefel.Komisch, dachte Daut.Warum trugen sie zu ihren Stiefeln nicht auch die Uniform? Die Männer umringten inzwischen die Löschzüge.Im Gebälk der Kuppel krachte es verdächtig.Eine Feuersäule stieg in den pechschwarzen Nachthimmel.Der Rädelsführer richtete wieder das Wort an den Feuerwehrhauptmann.Er sprach so laut, dass ihn die herumstehenden Menschen hören konnten.Im Grunde genommen hielt er eine Rede an die gaffende Menge.Eine Brandrede.Sie endete mit einem Aufruf, fast einem Befehl.»Das hier ist die Rache für den feigen Mord an dem aufrechten deutschen Ernst Eduard vom Rath.Jetzt muss die ganze Judenbande bezahlen, nicht nur der feige Polackenjude Grynszpan! Rückt ab, Leute.Für deutsche Feuerwehrmänner gibt es hier heute nichts zu tun.«Daut traute seinen Augen nicht.Der Feuerwehrhauptmann redet kurz mit seinen Männern, dann sprangen sie auf die Autos und fuhren weg.Die Menge um sie herum klatschte und johlte.»Juda, verrecke! Juda, verrecke!«Rhythmisch riefen sie die Worte, als wären sie die Tageslosung.Wieder und immer wieder
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