[ Pobierz całość w formacie PDF ]
.Ich hielt Kunsangs Hand umfasst, die kraftlos und glühend heiß in der meinen lag.In einigen lichten Momenten, wenn sie wie aus weiter Ferne auftauchte, erkannte sie uns, nannte unsere Namen und lächelte.In einem dieser Augenblicke kam Paldor Lhakyi; er kniete vor dem Lager der Sterbenden nieder, wobei er eine weiße Kata in den Händen hielt.»Diese Kata soll dich begleiten, meine Tochter, als Zeichen unserer Verehrung und Dankbarkeit.Sie wurde, vor unendlich vielen Jahren, von Seiner Heiligkeit gesegnet.Er war noch ein junger Mensch, damals, aber die Kraft in ihr ist ungebrochen.Sie wird dir auf der Schwelle zu deinem neuen Leben Trost bringen.«Er verneigte sich vor Kunsang, legte ihr die Kata um die schmalen Schultern.Ich wusste nicht, ob Kunsang seine Worte verstand, doch ihre Augen glänzten und schweiften umher, richteten sich auf den alten Mann, während ein Lächeln ihre Lippen verzog.Paldor Lhakyi redete leise und zärtlich zu ihr: ich wusste, seine Worte stärkten ihren Geist und erleichterten ihren Schmerz.Ich aber fühlte mich wie außerhalb meiner selbst, als sei diese Frau, die neben der Sterbenden kniete, eine Fremde.Ich dachte, wie viel Zeit wir doch vergeudet hatten, Kunsang und ich, statt uns näherzukommen und zu verstehen.Kurz bevor Kunsang starb, öffnete sie ein letztes Mal die Augen.Ihr dunkler Blick richtete sich auf mich.Ihre trockenen Lippen öffneten sich, und sie murmelte:»Ich fühle keinen Schmerz mehr.Mir ist, als schwebe mein Geist.Alles ist einfach und klar.«Ich erwiderte matt ihr Lächeln.Sie sprach mit großer Anstrengung; wie sie es überhaupt noch fertig brachte, die Sätze zu formen, war mir ein Rätsel.Ich hätte ihr sagen müssen: Sei ruhig, schone deine Kräfte! Aber wozu?»Ich… habe vielen Leuten ein Geschenk gemacht«, sagte sie leise.»Ich… ich tat das sehr gerne… ihnen zu zeigen, was sie am liebsten hatten.All die Träume… immer wieder… «Ich blickte in das blasse Gesicht, das mehr zu wissen schien, als 362ich ertragen konnte.Sie rang nach Atem.Das kleine Feuer, das der Novize nie ausgehen ließ, beleuchtete ihre Züge.Ihre Augen lagen in tiefen Höhlen.Sie flüsterte:»Zu trinken…«Rasch gab ich dem Novizen ein Zeichen.Er goss Wasser in ein Gefäß, trat ehrfürchtig gebückt näher.Atan nahm ihm das Gefäß aus den Händen.Er schob seinen Arm unter den Kopf der Sterbenden und flößte ihr mit unendlicher Behutsamkeit die Flüssigkeit Tropfen für Tropfen ein.Als der Becher leer war, schloss Kunsang für einen kurzen Augenblick die Augen.Kurze, stockende Atemzüge drangen aus ihrer Lunge.Dann hob sie die Lider und blickte Atan an.»Etwas hat mich dazu gebracht, es zu tun.Für mich war alles nur ein Spiel, weiter nichts.«»Du brauchst es mir nicht zu sagen.«»Kannst du mir verzeihen?«»Was verzeihen?«, fragte er kehlig.»Ich war bloß verwirrt.Das Herz tat mir weh.«»Du hättest sagen sollen, hör auf!«»Du warst ein Kind.Und es machte dir Spaß.«»Es tut mir trotzdem leid…«»Es braucht dir nicht leid zu tun.Ich konnte sie sehen.Es war wirklich so.Ich sah sie in ihrem roten Kleid.Sie kam immer wieder.Das war kein Schmerz, das war Glück.«»Glück?«, flüsterte sie rau.»Wir können nicht in die Vergangenheit zurückfinden.Wir müssen weitergehen in die Zukunft.Aber die Mutter ist immer da, in uns.Sie hat tausend Augen, die uns sehen, und tausend Ohren, die uns hören.Ich danke dir.«Sie fuhr leicht zusammen.»Wofür?«»Dass du sie hergeholt hast.«»Ich?«»Ich selbst… ich hätte es nie gekonnt.«Sie hob den Kopf, mit fiebriger Lebhaftigkeit.»Aber ich kann es, Atan! Entsinnst du dich, ganz am Anfang, wie ich malte? Ich… ich hatte keine Ahnung, warum ich manche Dinge malte… ich sah sie einfach! Ich bemühte mich immer… sie so schön wie möglich zu malen… damit andere Menschen sie gut sehen konnten.Und dann plötzlich… da waren diese Dinge keine Farbkleckse mehr, auf dem Papier… sie waren richtig da! Und wenn 363ich dazu sang, einfach so: »Shi-li-li« ohne nachzudenken… dann bewegte sich die Welt rückwärts… und drehte sich mit mir um.Dann sah ich sie auch, meine Mutter.Obwohl sie schon lange tot war… Ich sah sie ganz deutlich…«Mein Atem stockte.Ich beugte mich unwillkürlich vor.»Chodonla?«Kunsangs glänzende Augen richteten sich auf mich.Ihre Brust hob und senkte sich.»Ja, ja.Sie ist da.Auch hier, auch jetzt.Immer! Willst du sie sehen?«»Ach, Kunsang… Du kannst doch nicht…«Sie warf den Kopf hin und her.Ich sah das Zittern ihrer Halsmuskeln.Mit letzter Kraft, den Blick auf mich gerichtet, begann sie zu summen.»Shi-li-li…«Ich starrte sie an.Mir war, als ob die Schläge meines Herzens das mühsame, stockende Auf und Ab ihres Atems begleiteten.Sie flüsterte, mit letzter Kraft, eine Melodie, ein Wiegenlied, das vor fünfzig Jahren in Lhasa den Kindern zur Nacht gesungen wurde, in einem Haus, von dem nichts mehr existierte als ein Phantom, an einer Autobushaltestelle vor einem chinesischen Plattenbau.»Shi-li-li… «Kunsangs Stimme brach, erstickte in einem Röcheln.Doch auf einmal erklang sie wieder, die gleiche Melodie, rein und klar.Es war ein Kind, das sang.Ich merkte es nicht sofort, denn mein Bewusstsein veränderte sich, ich flog mit dem Lied, weiter empor, noch weiter, und die Jahre fielen von mir ab, wirbelten zurück, und Gesichter waren plötzlich da: die heiteren, guten Gesichter meiner Eltern.Ich sah sie als junge, lachende Menschen, wie sie zwei kleine Mädchen in den Armen trugen, unter einer dickwattierten Steppdecke zur Nacht betteten.Zwei kleine, fröhliche Kinder, die einander neckten.Chodonla und ich trugen die gleichen Farben, hellblau und rot, die gleichen bestickten Pantoffeln, die Mutter uns nun von den Füßen streifte.Wir kicherten und lachten, während sie unsere Fußsohlen kitzelte und uns in Wolldecken einhüllte, die mit grüner Seide bezogen waren.Und ich sehnte mich plötzlich so sehr, so sehr danach, dieses Bild in mir zu bewahren, es nie zu vergessen, dieses Bild des vergangenen Glücks, der ewigen Sehnsucht.Doch schon erstarrten beide Kinder in ihrer Bewegung, in ihrem Lachen: Die Vision trübte sich wie ein ferner bunter Fleck, dessen Farben in 364Tropfen ausliefen, verblassten.Die Stimme sang immer noch: »Shi-li-li«, aber irgendwie eingeschüchtert, zögernd, immer leiser.Und plötzlich war nur noch Stille da, endgültig wie ein Schnitt zwischen Gestern und Nie mehr, und ich sah im Feuerschein Longselas betroffenes Gesichtchen
[ Pobierz całość w formacie PDF ]
Darmowy hosting zapewnia PRV.PL