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.Eines Tages jedenfalls wird die Abschiedsstunde kommen, für zwei von sechs, für drei von acht: Sheila oder Sean werden mit ihrem Pappkarton zur Bushaltestelle ziehen, der Bus wird sie zum Zug, der Zug sie zum Schiff bringen: Ströme von Tränen an Bushaltestellen, auf Bahnhöfen, am Kai in Dublin oder Cork in den regnerischen, trostlosen Herbsttagen: durch Moor an verlassenen Häusern vorbei, und niemand von denen, die weinend zurückbleiben, weiß sicher, ob man Sean oder Sheila noch einmal wiedersehen wird: weit ist der Weg von Sydney nach Dublin, weit der von New York hierher zurück, und manche kehren nicht einmal von London wieder heim: heiraten werden sie, Kinder haben, Geld nach Hause schicken; wer weiß.Während fast alle europäischen Völker sich fürchten vor einem Mangel an Arbeitskräften, manche ihn schon verspüren, wissen hier zwei von sechs, drei von acht Geschwistern, daß sie werden auswandern müssen, so tief sitzt der Schock der Hungersnot; von Geschlecht zu Geschlecht erweist das Gespenst seine schreckliche Wirkung; manchmal mochte man glauben, dieses Auswandern sei etwas wie eine Angewohnheit, wie eine selbstverständliche Pflicht, die man einfach erfüllt — die ökonomischen Gegebenheiten machen es wirklich notwendig: Als es Freistaat wurde, im Jahre 1923, hatte Irland nicht nur fast ein Jahrhundert industrieller Entwicklung nachzuholen, es hatte auch mit allem, was sich an Entwicklung ergab, noch Schritt zu halten; fast keine Städte gibt es, kaum Industrie, keinen Markt für die Fische.Nein, Sean und Sheila werden auswandern müssen.18 AbschiedDer Abschied fiel schwer, gerade deshalb, weil alles darauf hinzudeuten schien, daß er notwendig sei: das Geld war verbraucht, neues versprochen, aber noch nicht angekommen, kalt war es geworden, und in der Pension (der billigsten, die wir in der Abendzeitung hatten finden können) waren die Fußböden so schief, daß wir kopfabwärts in unendliche Tiefen abzusinken schienen; auf einer sanft geneigten Rutschbahn glitten wir durch das Niemandsland zwischen Traum und Erinnerung, fuhren durch Dublin, bedroht von den Abgründen um das Bett, das mitten im Zimmer stand, umbrandet vom Lärm und vom Neonlicht der Dorset Street; wir hielten uns aneinander fest; die Seufzer der Kinder aus den Betten an der Wand klangen wie Hilferufe von einem Ufer, das unerreichbar war.Das ganze Inventar des Nationalmuseums, in das wir nach jedem abschlägigen Bescheid des Schalterbeamten zurückgegangen waren, wurde in diesem Niemandsland zwischen Traum und Erinnerung überdeutlich und starr wie die Requisiten eines Panoptikums; wie auf der Geisterbahn im Märchenwald fuhren wir kopfabwärts dahin: St.Brigids Schuh leuchtete silbern und zart aus der Dunkelheit, große schwarze Kreuze trösteten und drohten, Freiheitskämpfer in rührenden grünen Uniformen, in Wickelgamaschen und rötlichen Baretts zeigten uns ihre Schußwunden, ihre Ausweise, lasen uns mit kindlicher Stimme Abschiedsbriefe vor: »Meine liebe Mary, Irlands Freiheit.«, ein Kochtopf aus dem dreizehnten Jahrhundert schwamm an uns vorüber, ein Kanu aus vorgeschichtlicher Zeit; goldener Schmuck lächelte, keltische Fibeln, aus Gold, Kupfer und Silber wie unzählige Kommas auf einer unsichtbaren Wäscheleine aufgereiht; wir fuhren durchs Tor in Trinity Colleges ein, aber unbewohnt war diese große graue Stätte, nur ein blasses Mädchen saß weinend auf der Treppe zur Bibliothek, hielt seinen giftgrünen Hut in der Hand, wartete auf einen Liebsten oder trauerte ihm nach.Lärm und Neonlicht von der Dorset Street herauf rauschten an uns vorüber wie die Zeit, die für Augenblicke Geschichte wurde, Denkmäler wurden an uns vorbeigeschoben, oder wir an ihnen: Männer aus Bronze, ernst, mit Schwertern, Federkielen, Zeichenrollen, Zügeln oder Zirkeln in der Hand; Frauen mit strenger Brust zupften an Leiern, blickten mit süßtraurigen Augen viele Jahrhunderte zurück; unendlich lange Kolonnen dunkelblau gekleideter Mädchen standen Spalier, mit Hurlingschlägern in der Hand, stumm waren sie, ernst, und wir fürchteten, sie würden ihre Schläger wie Keulen erheben; engumschlungen rutschten wir weiter.Alles, was wir besichtigt hatten, besichtigte jetzt uns: Löwen brüllten uns an, turnende Gibbons kreuzten unsere Bahn, wir fuhren den langen Hals der Giraffe hinauf, hinunter, und der Leguan mit seinen toten Augen warf uns seine Häßlichkeit vor; das dunkle Wasser des Liffey gurgelte grün und schmutzig an uns vorüber, fette Möwen kreischten, ein Klumpen Butter — »zweihundert Jahre alt, im Moor in Mayo gefunden« — schwebte vorbei wie der Klumpen Gold, den Hans im Glück verschmäht hatte; ein Polizist zeigte uns lächelnd sein Rainfall-Book, vierzig Tage hintereinander hatte er 0 geschrieben, eine ganze Kolonne von Eiern, und das blasse Mädchen mit dem grünen Hut in der Hand weinte immer noch auf der Treppe zur Bibliothek.Schwarz wurden die Wasser des Liffey, trugen als Treibgut Geschichte ins Meer hinaus: Urkunden, deren Siegel wie Senkbleie nach unten hingen, Verträge mit schnörkeligen Initialen, Dokumente, gewichtig von Siegellack, Holzschwerter, Kanonen aus Pappe, Leiern und Stühle, Betten und Schränke, Tintenfässer, Mumien, deren Bandagen sich gelöst hatten und, dunkel wie Palmwedel flatternd, sich durchs Wasser bewegten; ein Schaffner kurbelte aus seiner Fahrscheinmühle eine lange Papierlocke heraus, und auf den Stufen der Bank von Irland saß eine alte Frau und zählte Eindollarscheine, und zweimal, dreimal, viermal kam der Schalterbeamte der Hauptpost und sagte mit bekümmerter Miene hinter seinem Gitter hervor: Sorry.Unzählige Kerzen brannten vor der Statue der rothaarigen Sünderin Magdalena, ein Haifischwirbel schwamm an uns vorüber, einem Windsack glich er, schwankte, die Knorpelgelenke brachen auseinander, die Wirbelknochen rollten wie Serviettenringe einzeln in die Nacht und verschwanden; siebenhundert O’Malleys marschierten an uns vorüber, braunhaarige, weißhaarige, rothaarige sangen ein Preislied auf ihren Klan.Wir flüsterten uns Trostworte zu, hielten uns aneinander fest, fuhren durch Parks und Alleen, durch die Schluchten Connemaras, durch die Berge von Kerry, die Moore von Mayo, zwanzig, dreißig Meilen weit, fürchteten immer, dem Saurier zu begegnen, aber wir begegneten nur dem Kino, das mitten in Connemara, mitten in Mayo, mitten in Kerry stand: aus Beton war’s, die Fenster waren mit dicker grüner Farbe beschmiert, und drinnen schnurrte der Vorführapparat wie ein böses, gefangenes Tier, schnurrte die Monroe, den Tracy, die Lollobrigida an die Wand, auf grünen Schattenbahnen, immer noch den Saurier fürchtend, fuhren wir zwischen unendlich langen Mauern dahin, so weit von den Seufzern unserer Kinder entfernt, kehrten in die Dubliner Vororte zurück, an Palmen, Oleander vorbei, durch Rhododendronwälder, kopfabwärts; immer größer wurden die Häuser, höher die Bäume, immer breiter die Kluft zwischen uns und den seufzenden Kindern; die Vorgärten wuchsen, bis sie so groß waren, daß wir die Häuser nicht mehr sehen konnten, und wir fuhren rascher in das zarte Grün unendlich großer Wiesen ein.Der Abschied fiel schwer, obwohl die rauhe Stimme der Wirtin am Morgen im Klirren des Tageslichts das Treibgut unserer Träume wie Gerumpel zusammenfegte, und obwohl das Tak-tak-tak-tak vom vorüberfahrenden Omnibus aus uns erschreckte, das Geräusch glich so täuschend dem eines schießenden Maschinengewehrs, daß es uns wie ein Vorsignal zur Revolution erschien, aber Dublin dachte nicht an Revolution, es dachte an Frühstück, an Pferderennen, Gebet und belichtetes Zelluloid
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