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.«Der Platz war von Kneipen gesäumt, die meisten mit Vorhängen aus blauen Holzperlen versehen, und es roch nach Schnaps.Hinduschnulzen wimmerten aus Transistoren.Eine Männerstimme kreischte aus einem Lautsprecher.Roman runzelte die Stirn, auf zurückhaltende Art beunruhigt.»Eine politische Versammlung?«»Aber nein, der gibt bloß Lottozahlen durch.« Stämmige Frauen schleppten Stoffballen oder schwere Körbe, die durch ein Stirnband gehalten wurden.Staub klebte an ihren kräftigen halbnackten Beinen mit den tätowierten Schlangen und Lotusblumen.Sie hatten braune, ausgesprochen mongolische Züge.An ihren Zöpfen baumelten Türkisamulette und Bergkorallen.»Das sind Gebirglerinnen«, sagte ich.»Sie kommen, um Ware zu verkaufen.Inzwischen besorgen die Männer Feld und Haushalt.«Wir irrten durch die Menge, gefolgt von einer hartnäckigen Kinderschar, die mit ausgestreckter Hand die Worte »Bonbon« und»Bakschisch« kreischten.Nach einer Weile hatte es Roman satt und griff in seine Hosentasche.»Nein, Roman! Kein Geld!« warnte ich ihn.Schon kam ein mürrischer Mann, scheuchte die Kinder fort, wie ein Bauer das Geflügel scheucht.Ich zeigte ihm den Umschlag mit Karmas Adresse.Der Mann schüttelte den Kopf und ging.Während wir unschlüssig dastanden, zupfte mich eine alte Tibeterin am Ärmel.Sie hatte ein braunes Apfelgesicht, verschmitzte Augen und runzelige Finger.Männer, bekam ich zu hören, gehörten einer unterbelichteten Gattung an, und jede Frage an sie sei Zeitverschwendung.Zum Glück war sie hier und konnte helfen.Wohin wir denn wollten?80Ich erzählte von Karma.Die Frau studierte die Adresse sehr sorgfältig und nickte dann.Den Laden gab es nicht mehr.Vor drei Jahren war der Straßenzug abgebrochen worden; man hatte ein Warenhaus gebaut.Ein Betonkasten, knurrte die Frau.Die Kunden blieben aus: was es dort zu kaufen gab, war zu teuer und Ramsch obendrein.Die enteigneten Händler hatten etwas Geld bekommen und in einem anderen Viertel neue Läden aufgemacht.Doch wir sollten uns keine Sorgen machen und die Mönche im nahegelegenen Gompa – im tibetischen Kloster – aufsuchen.»Die Heiligen Lamas wissen alles!«Die Frau kicherte.»Die Leute bringen Spenden und reden.Die Mönche sperren die Ohren auf.«Ich fragte die Frau nach dem Weg.Sie packte mich am Arm.»Komm!«Wir bogen um ein paar Ecken und sahen schon bald die klotzigen, ockergelb- und karminroten Wände, die Einfassungen aus massivem Holz.Die Mönche waren bei der Andacht, sangen die heiligen Texte.Ihre Stimmen sanken und stiegen, sanken tiefer, stiegen höher.Der Gesang erzeugte ein machtvolles, pulsierendes Dröhnen, das wir in dem Boden unter unseren Füßen spürten.Zwei Hängetrommeln folgten und verstärkten den Rhythmus wie ein Echo, und das silberhelle Klingeln großer Zimbeln schlug die Begleitung.Wir dankten der Frau, die vergnügt davonschlenderte.Das Portal des Heiligtums stand offen.Schuhe und Sandalen häuften sich auf den Stufen.Neben dem Eingang kauerte ein junger Mönch, der die Hände zum Gruß faltete.Wir grüßten zurück, spähten durch die flatternden Stoffbahnen.Die Mönche saßen auf Holzbänken, mit Matten bespannt, die Geistlichen höheren Ranges auf gepolsterten Sitzen unterhalb des Altars.Die Novizen – fast noch Kinder – saßen ganz hinten an der Tür.Alle Mönche hatten Bücher vor sich, die sich aus langen, auf beiden Seiten bedruckten Einzelblättern zusammensetzten.Die Blätter waren zwischen zwei Holzdeckel geklemmt, von denen der obere mit kunstvollen Schnitzereien bedeckt war.Ich wußte, daß jedes Buch nach dem Unterricht sorgfältig zusammengeklappt und in eine Schutzhülle aus Brokat geschoben wurde.Die vergoldeten Statuen auf den Altären leuchteten, Kultobjekte und Heiligenfiguren schimmerten hinter Vitrinen.An den Wänden hingen Rollbilder, in kostbaren Brokat gefaßt, manche mit Schutzschleiern versehen.In kleinen Gefäßen aus Messing brannten Butterdochte.Das Helldunkel, das tiefe 81Schwingen der Stimmen, die mächtigen Schläge der Trommeln schufen eine eigentümliche Stimmung, zugleich theatralisch und voller Frieden.Auf dem Boden vor der Tür, im leuchtenden Rechteck der Sonne, lag ein Kätzchen und putzte sich.Ich fragte den Novizen am Eingang, wie lange die Andacht dauern würde.Er warf einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, und sagte, sie wäre gleich vorbei.»Lunch-Zeit!« rief er fröhlich.Ich sagte, daß ich einen der Heiligen Lamas zu sprechen wünschte.Er würde mal nachfragen, antwortete der Junge unbefangen.Wir warteten, bis das Dröhnen der Hängetrommeln erstarb.Der Gesang verstummte fast gleichzeitig.Stille kehrte ein, doch nur kurz.Schon war das Heiligtum vom Schlurfen nackter Füße, von Stimmen und Gelächter erfüllt.Die Mönche strömten hinaus; die Älteren gemessen, die Novizen kichernd und prustend wie Schuljungen.Verhalten neugierige Blicke streiften uns.Ich sagte zu Roman:»Viele arme Familien schicken ihre Söhne in die Klöster, weil sie wissen, daß den Mönchen stets ein Dach über dem Kopf und genug Essen sicher sind.«»Dann haben sie also nicht die Berufung?«Ich grinste.»Nun, die kann sich einstellen.«Der Novize bedeutete uns zu warten, bevor er in dem Menschenstrudel verschwand.Nach einer Weile war er wieder da, verbeugte sich mit respektvollen Zischlauten: der Heilige Dondup Trungpa erwartete uns in seinem Gemach.Dondup Trungpa lehnte an einem Stapel Seidenkissen.Sein dunkles Gesicht glänzte, und die wachen Augen verschwanden fast völlig zwischen den Falten.Seinem Rang entsprechend erhob er sich nicht.Ich verneigte mich dreimal, wie es die Ehrfurcht gebot.Roman tat es mir nach; wir empfingen seinen Segen, und er lud uns mit einer höflichen Handbewegung ein, Platz zu nehmen.Sein bloßer Arm und seine Schulter waren glatt und braun wie Erz.Die Würde war ihm angeboren, er konnte keine ungeschickte Bewegung machen.Doch der Heilige Lama hatte Hunger – wir hörten, daß sein Magen knurrte.Die Übungen im Kloster beginnen vor Tagesanbruch; ich war etwas beschämt, daß er unseretwegen sein Mittagessen warten ließ.So verlor ich keine Zeit mit Floskeln und erzählte ohne Umschweife, warum ich hier war.Dondup Trungpa schenkte mir echtes Interesse.Er hatte ein gewinnendes Lächeln, bei dem er den 82Kopf ein wenig zur Seite legte.Es stellte sich heraus, daß er Europa gut kannte, daß manche mir vertraute Namen auch ihm durchaus geläufig waren.Wir sprachen Tibetisch; mit Rücksicht auf unseren Gastgeber verzichtete ich auf Übersetzung.Roman fragte auch nicht und verhielt sich sehr formell; er saß im Schneidersitz, den Rücken kerzengerade, eine verkrampfte Haltung, zu der Europäer sich in Gegenwart asiatischer Würdenträger oft genötigt fühlen.Dondup Trungpa ließ Orangensaft und Kabse bringen, ein Gebäck, das ich nicht mochte, aber aus Höflichkeit kostete.Die alte Tibeterin hatte sich nicht getäuscht: Es war schon so, daß alle Gerüchte zu den Mönchen drangen.Ja, Dondup Trungpa wußte, daß Karma Dolkar –er nannte meine Cousine bei ihrem vollen Namen – ihren Laden verkauft hatte und von Jonten Kalon, einem berühmten Arzt, unterrichtet worden war.Jonten Kalon, erfuhr ich, führte den Titel Menrampa, was in Europa dem Rang eines Professors entsprach.Er hatte viele Jahre in einem chinesischen Gefangenenlager verbracht, weil er sich für die Menschenrechte eingesetzt und verletzten Demonstranten erste Hilfe geleistet hatte.»Demonstranten haben keinen Anspruch auf ärztliche Betreuung«, sagte Dondup Trungpa mit gleichmäßiger Stimme.»Wenn die Chinesen in die Menge schießen, ist es besser, die Wunden sind tödlich.Denn die Verletzten sterben unter der Folter oder werden medizinischen Versuchen unterzogen.«Die Ruhe, mit der er sprach, war erschütternd.Ich dachte auf einmal an Chodonla.Meine Kehle wurde trocken
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